»Die Sachen sehen, die man hat«: Patrick Mayer entwirft Hilfsmittel für den Winter

von Hilmar Schulz

Warum kann ein Rollstuhl nicht auch im Schnee geländegängig sein? fragte sich ein Freestyle-Snowboarder. Mit Profis entwickelte er anklickbare Kufen. Und einen Spazierstock-»Schuh«, der sich zuverlässig am eisigen Boden festkrallt.

Patrick Mayer arbeitet gerade an etwas Großem. Er will noch nichts verraten. Aber er spricht von einem neuen Fortbewegungsmittel für Menschen mit Körperbehinderung: leicht, höchst beweglich, und leise wie ein Schatten. Ein Sportgerät – viel mehr noch: ein Inklusionsgerät. Die Entwicklung daran ist fortgeschritten, das Patent angemeldet, es gibt bereits eine Designstudie und einen Prototyp. Mayer ist sich sicher: Das wird ein Erfolg.

Dass er so etwas kann, hat er in den letzten zehn Jahren bewiesen. Zunächst entwickelte Mayer die Wheelblades: Kufen, die einen Rollstuhl in einen Schlitten verwandeln. Später erfand er einen Trekkingschuh für die Gehhilfe, den Safety Foot, der Stöcken auf jedem Untergrund festen Halt verschafft. Die Grundidee: Mayer will für sich und andere clevere technische Lösungen, die zu mehr Mobilität verhelfen und mit denen man »Orte erleben« kann. Denn »draußen sein mit der Familie oder Freunden hat den größten Einfluss auf die Lebenszufriedenheit.«

Mayer bezeichnet sich als Produktentwickler und Hersteller. Das lag früher außerhalb seines Vorstellungsvermögens. Denn in seinem ersten Leben war er Profisportler. Er stammt aus Tübingen, als Kind fuhr er regelmäßig mit der Familie zum Skifahren nach Davos. Dort traten die besten Snowboarder der Welt gegeneinander an – »das hat mich elektrisiert«.

Der ehrgeizige Junge kannte nur ein Ziel: als Freestyle-Snowboarder an die Spitze zu kommen. In Deutschland ist das witterungsbedingt schwierig, deshalb wechselte Mayer mit 17 auf ein Schweizer Internat. Tatsächlich schaffte er es unter die Top Ten der deutschen Freestyle-Szene. »Ich wollte maximum. Ich wollte Olympia.«

Ein Doppelschlag

Dann ereignet sich der Sportunfall, der die Nerven in seinem Rücken durchtrennt und sein Leben in zwei Teile schneidet. Mayer kann seine Beine zwar noch minimal bewegen, aber es ist klar, dass er fortan auf Gehhilfen und Rollstuhl angewiesen ist. Es ist das zweite Unglück innerhalb kurzer Zeit, ein Jahr zuvor war sein Bruder gestorben. Mayer spricht von einem massiven Doppelschlag, einer schweren Zeit.

Was ihm damals bei Zweifeln und Verzweiflung geholfen hat? Familie und Freunde. Und eine Vision von seinem künftigen Leben. Ein selbstgestecktes Ziel habe ihm immer Kraft gegeben – ja, es ziehe ihn förmlich an. Manchmal denkt er an seinen Bruder, der habe gar nichts mehr. »Und ich kann jeden Tag die Welt verändern – eine unfassbare Freiheit, die wir alle haben!«

Kurz nach seinem Unfall besteht Mayer seine Schweizer Matura. Über die folgenden Monate sei ihm dann klar geworden, dass er anderen Menschen helfen möchte, die durch einen Unfall aus der Bahn geraten sind. Die Sachen zu sehen, die man hat, und nicht die verlorenen: Das wollte er Leuten, die frisch in so einer Situation sind, mit auf den Weg geben. Um in einer Reha-Einrichtung arbeiten zu können, studierte er Psychologie.

Gib lieber Geld aus

Es kam anders. Mayer hatte damals eine Freundin in Arosa. Bei einem gemeinsamen Spaziergang kippte ein Freund seinen Rollstuhl, um ihn durch den Schnee zu fahren. »Ich kam mir vor wie ein Sack Kartoffeln auf einer Sackkarre.« Das wollte er nicht noch einmal erleben.

Die naheliegende Lösung: Unter die Vorderräder müssen Kufen. Die Geburtsstunde der Wheelblades. Mayer kauft im Baumarkt Holz, zersägt Kunststoffskier, schraubt und klebt. »Es war ein wildes Gebastel!« Aber das Initialgefühl sei so gut gewesen, dass er irgendwann entschied, das professionell zu machen.

Wie hässlich viele Produkte für Behinderte sind, sei ihm nach seinem Unfall aufgefallen. Deshalb wollte er von Anfang an Funktionalität plus gutes Design. Da er nicht in jedem Bereich Profi sein könne, habe er sich Spezialisten gesucht: Produktdesigner, Ingenieure, Homepagegestalter, Fotografen. »Mein Credo: Gib’ lieber Geld aus und mach’s professionell.«

XL für Kinderwagen

Die größte Hürde lag im Finanziellen. »Wie kriege ich 100 000 Euro für so eine Entwicklung zusammen?« Er steckte das Versicherungsgeld für den Unfall nicht ins behindertengerechte Haus, sondern in das neue Projekt. Weiteres Geld kam durch Crowdfunding. Und weil er »einen guten Deal« mit einer großen deutschen Firma abschloss, gab es eine Vorfinanzierung und er konnte die Kufen verkaufen, noch bevor sie produziert waren.

Bei den Wheelblades lief viel über Mund-zu-Mund-Propaganda. Die Menschen verblüfft das einfache Prinzip: Man legt sie unter die Räder, es macht »klack« – und der Rollstuhl kommt mühelos durch Schnee.

Wer sind seine Kunden? Leute mit Restbeweglichkeit. Und Menschen, die den Rollstuhl schieben. Überrascht habe ihn auch die große Nach[1]frage von Leuten mit Kinderwagen. Deshalb hat Mayer noch eine größere Version entwickelt, die Wheelblades XL – im Moment sein Zugpferd. Mit seiner neuen Entwicklung verfolgt Mayer jetzt einen Hauptplan: »Ich will den ›Schatten‹ so auf den Markt schmeißen, dass es einen Knall gibt wie eine Bombe.«

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