Kolumne: Der ganz normale Alltag

von Tan Caglar

Schönen guten Tag
liebe Leserinnen und Leser,

Diversität und Integration sind viel diskutierte Themen heutzutage. Doch wie steht es eigentlich um mich selbst in Sachen Integration? Ein Deutscher mit schwarzen Haaren und dunklen Augen, geboren in Hildesheim, mit türkischen Eltern und somit Migrationshintergrund? Gehöre ich dazu? Oder bin ich vielleicht sogar überintegriert?

Tatsächlich fühle und denke ich sehr deutsch. Ich lebe genau genommen im falschen Körper: Die Seele eines Buchprüfers, gefangen im Körper eines Hütchenspielers. Sieht aus wie Mahmut, denkt aber wie Helmut. Da sind Miss- verständnisse vorprogrammiert.

Richtig machen kannst du als Mischwesen nix. Beispiel: Letztens komme ich bei uns im Viertel an der Shisha-Bar vorbei. Der Besitzer steht breitbeinig vor der Tür mit so ’nem Vierkant-Hund an der Leine. So ein Hohlblockstein mit Faltenfresse. Ein Pitbull. Und ich so: »Ooch, der ist aber süüss!« Und ich den Hund so gestreichelt – also mehr so getan, in Wirklichkeit wollte ich natürlich nur gucken, ob der ’ne Steuermarke hat – und dann hab’ ich zu dem Typen gesagt: »Keine Angst, ich kenn’ mich aus mit Tieren, ich hab’ auch sowas. Also nicht genau sowas, ich hab’ zwei Wellensittiche. Hans und Peter. Und wie heißt deiner hier? Fifi?«

Aber irgendwie kam das Gespräch nicht in Gang. Den Namen vom Hund hab’ ich auch erst später erfahren, im Gespräch mit der Hundesteuerstelle vom Finanzamt. Jetzt weiß ich, dass der »Destruction« heißt.

Ich aber erstmal rein in diese Bar. Ich musste meine Nebelscheinwerfer anmachen, um überhaupt bis zum Tresen zu kommen. Und da hab’ ich dann ein Gespräch mit dem Wirt angefangen. Sprich: So von Mann zu Mann, ein typisches Shisha-Bar-Gespräch unter Türken. Ich zu ihm so: »Ey, wie machst du das bei dem Qualm hier mit der Kalibrierung von den vorgeschriebenen Rauchmeldern?« Ich fand die Frage gut, aber ich hatte irgendwie so das Gefühl, das Eis ist noch nicht gebrochen.

Also hab’ ich nachgelegt: »Ey, keine Angst, ich bin nicht vom Ordnungsamt. Außerdem: Bleib’ locker, mit deiner Konzession ist doch alles klar. Haben die beim Bauamt auch gesagt, da hab’ ich gestern kurz nachgehakt. Allerdings müsste da vorn laut Nutzungsplan noch ein Notausgang sein, aber den machst du sicher noch, oder?« An der Stelle ist er dann ungehalten geworden. Hat mich raus gebeten. Also was heißt gebeten? Er hat »Destruction« von der Kette gelassen und ich dachte, ich muss sowieso los. Jod S11 Körnchen kaufen für Hansi und Peter.

Irgendwann hatte ich dann aber die Riesenidee, wie ich vielleicht den Türken in mir wecken könnte. Ich fahr’ in die Türkei! Guck mir an, wie das da läuft. Ich also hin, drei Wochen Strandurlaub. Ich hab’ versucht, alles genauso zu machen, wie die es da auch machen. Und es hat auch fast geklappt. Zum Beispiel hab’ ich es schon nach drei Wochen geschafft, keine Liege mehr mit ’nem Handtuch zu reservieren. Schließlich habe ich es sogar geschafft, den Müll am Strand einfach hinter mich zu werfen, statt in den Mülleimer. So wie die Strandjungs dort das eben auch machen. Aber als ich mich nachher umdrehe sehe ich: Ich hab’ meinen Müll unbewusst auf drei verschiedene Stellen geworfen. Glas, Plastik, Papier. Ihr merkt schon: Der Trip hat’s auch nicht wirklich gebracht.

Als ich wieder zurück war, hab ich dann nochmal den Einbürgerungstest in Deutschland gemacht. Freiwillig. Das mache ich alle drei bis vier Wochen. Ihr fragt euch warum? Also, einer muss ja überprüfen, ob die die Rechtschreibfehler in den Fragebögen korrigiert haben …

In diesem Sinne
euer Tan

Der ehemalige Rollstuhlbasketball-Nationalspieler Tan Caglar arbeitet inzwischen als Stand-Up-Comedian, Moderator und Schauspieler. 2020 feierte er mit seinem zweiten Comedy-Programm »Geht nicht? Gibt‘s nicht!« Premiere. Als erster behinderter Schauspieler im Rollstuhl als Arzt ist er in der ARD-Serie »In aller Freundschaft« zu sehen, immer dienstags ab 21 Uhr.

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