Kurven, Checken, Schiessen

von Gabriele Wittmann

Der inklusive Sport Para-Eishockey bringt gelenkte Energie aufs Eis

Eishockey-Ausrüstung
Foto: Ralf Kuckuck

Das war ein komischer Zufall«, sagt Sebastian »Bas« Disveld auf die Frage, wie er ausgerechnet zum Eishockey gekommen sei. »Ich bin inner- halb einer Woche gleich zwei Mal angesprochen worden.« Ein Trainer fragte ihn vor einem Supermarkt, ein Para-Spieler fragte ihn vor einem Blumenladen: »Du siehst fit aus. Möchtest du nicht Eishockey spielen?« Seine Neugier war geweckt, er fuhr in der Woche darauf zum Training.

Der Sport hat ihm auf Anhieb gefallen. »Man kann sich gut austoben auf dem Eis«, erklärt der 46-Jährige. »Man kommt endlich mal raus aus dem Rollstuhl, in dem man ja sonst den ganzen Tag sitzt. Und die Mannschaft in Bremen war damals schon sehr nett.«

Zunächst war der Sport nur ein Hobby. Doch als er mit dem Rauchen aufhörte und zum Ausgleich mit dem Handbiken begann, wurde er so fit, dass die Nationalmannschaft auf ihn aufmerksam wurde. Sein neugeborener Sohn war ihm erstmal wichtiger, doch 2005 stieß er zu den Trainingseinheiten und konnte für einen ausgefallenen Spieler schon 2006 bei den Paralympics in Turin einspringen. Es war ein großer Moment: Quasi als »Außenseiter« haben sie auf Anhieb den vierten Platz errungen, eine respektable Leistung.

Inzwischen spielt Disveld seit 20 Jahren Eishockey und ist ein erprobter Kapitän für die Nationalmannschaft. Als »Schlüsselfigur auf dem Feld« ist er Ansprechpartner für die Teams anderer Nationen, auch offizielle Eröffnungen gehören zu seinen Aufgaben. Und natürlich das Vermitteln zwischen der Mannschaft und dem Trainerstab. Denn, ungewöhnlich für einen Para-Sport: Die Trainer sind alle Fußgänger

»Das Spiel trainiert Taktik und schnelle Entscheidungen«

Trainer gibt 4 Spielern mit Schlägern aufSkibos Anweisungen beim Para Ice Hockey
Foto: Ralf Kuckuck

Anfänge im Schlitten

Para-Eishockey ist ein inklusiver Sport. Egal ob Fußgänger oder Rolli-Fahrer, ob Frau oder Mann, ob jung oder alt: Alle sitzen in einem Schlitten. Wer noch Beine hat, dem werden sie geschützt in einer Schale festgeschnallt. Und dann müssen alle sitzend auf Kufen übers Eis balancieren, die nur zwei Zentimeter auseinander stehen. Das heißt: Eher übers Eis fegen. Denn je schneller, desto besser lässt sich das Gleichgewicht halten, erklärt Nationaltrainer Michael Gursinsky: »Es ist wie beim Carving Ski. Je höher die Dynamik, desto besser lassen sich Kurven fahren.«

In der ersten Stunde geht es aber erst mal dar- um, das Gleichgewicht auf dem Eis zu halten. Die zwei Schläger dienen nicht nur zum Schießen der Scheibe, des »Pucks«, sondern auch dem »Vortrieb«: Den Schläger ins Eis hacken und sich vorwärts ziehen, so kommt Schwung in die Sache.

»Pickeln«, ruft Michael Gursinsky deshalb immer wieder ins Feld. Damit erinnert der Trainer die Anfänger daran, dass sie sich nicht nur dynamisch in die Kurve legen sollen, sondern weiterhin mit dem Schläger vom Eis abstoßen müssen, um die Grundgeschwindigkeit zu halten. Das Scharen, Gleiten, Kurven Fahren: All das will zunächst einstudiert sein. »Alles Ungewohnte ist erst mal unangenehm«, erklärt der 53-Jährige. »Aber wenn es dann Automatismen werden, dann kommt der Spaß-Effekt.« Damit die Anfänger diesen Spaß schon mal erleben können, schiebt der Trainer die Schlitten in der Gleitphase manchmal an. Kurvengeschwindigkeiten, Kehrtwendungen, Richtungswechsel: »Wenn ich zeige, was der Schlitten alles kann, dann ist sofort Begeisterung da«, weiß Gursinsky.

Das Checken

Wie beim Eishockey auch muss der Puck beim Para-Eishockey durch fünf Feldspieler ins Tor geschossen werden. Die Regeln sind identisch, außer, dass man nicht rückwärtsfahren kann. Und dass man einen Spieler nicht rechtwinklig direkt anfahren darf. Anrempeln? Ja. Aber nur mit maximal 45 Grad. »Direkt mit dem Fußteil in einen Schlitten reinzufahren ist gefährlich und führt zu zwei Minuten Platzverweis«, er- klärt der Trainer.

Allerdings ist das »Checken«, also der Körperkontakt mit einem Gegner, ein wichtiger Teil dieses KontaktSportes. Jeder versucht, den anderen abzudrängen, um selbst den Puck zu ergattern. Und, da sind sich der Nationaltrainer und seine Spieler einig: Hier beginnt erst der fortgeschrittene Spaß der »Spielchen« mit dem Gegner.

»Spielchen« sind zum Beispiel: Ein Drittel der Strecke ins Feld fahren, und wenn der Gegner auf einen zukommt, den Puck wie beim Billiard so hart schießen, dass er den Gegner geschickt umfährt, weil er über die Bande zurückkommt. Oder auch das Foppen: Den Puck rechts am Gegner vorbei spielen, dann aber links an ihm vorbeifahren, was ihn verwirrt. Solche Tricks liebt Kapitän Disveld. »Das Spiel trainiert Köpfchen, Taktik, und schnelle Entscheidungen«, sagt er.

Ist Eishockey ein brutaler Sport? Disveld winkt ab: »Das kommt wahrscheinlich beim Zuschauen hart rüber. Aber man ist gut abgepolstert und hat keine Schmerzen dabei.« Trainingshose und langes Shirt reichen zunächst für eine

»Der Rücken bleibt noch eine Zeit lang gerade«

Torhüter im Skibob reißt Fanghand nach oben
Fotos: Ralf Kuckuck

Probestunde, den Rest bekommen Anfänger erstmal gestellt: Helm mit Gitter, Halsschutz, Brustschutz, Eishockeyhose, Schienbein- und Ellenbogenschoner. Die Spieler sehen schon martialisch aus in ihrer Kluft. Aber sie haben Spaß an ihrem Foppen und Checken.

Dazu gehört auch, dem Gegner leicht angewinkelt an die Seite zu fahren und ihn damit zum Umkippen zu bringen, ihn abzudrängen oder ihm den Fahrweg abzuschneiden. »Du musst es halt so machen, dass der Schiri es nicht mitkriegt«, feixt Steven Betz. Der junge Spieler ist erst 29 Jahre alt, aber schon fast in der Nationalmannschaft – im erweiterten Kader. »Man muss auch mal etwas riskieren«, erzählt Betz. »Wenn sich eine gefährliche Aktion vor dem Tor abspielt, und du merkst, dass die Scheibe jetzt drin sein könnte, wenn der Gegner schießt – dann boxe ich den mal kurz, riskiere damit eine Straf- zeit auf der Bank und hoffe, dass die restlichen vier Spieler das Spiel trotzdem weiterbringen«, lacht er. Und kommentiert mit: »Man muss auch mal Schmunzeln können.«

Oder andersherum: »Ich provoziere auch gern mal«, gesteht der junge Spieler. »Manchmal provoziere ich jemanden so, dass er so genervt ist von mir, dass er am Ende etwas nicht Regelkonformes tut und dadurch selbst eine Strafe zieht.« Also doch ein brutales Spiel? »Auf dem Eis will man den Gegner besiegen«, erklärt Betz. »Und wenn man fertig ist, geht man vom Eis runter, und der Gegner ist dann wieder Unterhaltungspartner. Das ist doch ganz normal.« Und wenn man verloren hat? »Dann sagt man: Ah, war das ein geiles Spiel!«

Neue Mannschaft

»Ich suche mir jetzt eine Eishalle und gründe eine eigene Mannschaft«, sagte sich Steven Betz, als seine Mannschaft in Heidelberg aufgelöst wurde. Er fragte beim örtlichen Verein in Waldbronn bei Karlsruhe an, ob sie mit ihm den Weg gehen, eine Para-Mannschaft zu gründen. »Die waren sofort begeistert«, erzählt der junge Spieler.

Nun sucht er seit Jahresbeginn selbst eine Mannschaft zusammen. Einen Torwart hat er schon. Und wenn sie im Oktober immer noch zu zweit sind? »Dann gehen wir halt zu zweit aufs Eis. Und wenn jemand kommt, sage ich: Hier ist dein Schlitten, probier’s aus!« Sein Traum? Dass er eine feste Mannschaft aufgebaut bekommt. Und dass nicht nur Fußgänger, sondern auch jugendliche Erwachsene mit Behinderungen kommen. »Es gibt viele, die erstmal nicht mit ihrer Behinderung klarkommen. Ich hoffe, dass wir sie etwas gelockert kriegen. Ich lache ja inzwischen auch über meine eigene Behinderung«, so Betz. »Ich muss nicht mit Samthandschuhen angefasst werden, denn die anderen akzeptieren mich so, wie ich bin.«

Was die potenziellen Spieler erwartet, ist auf jeden Fall ein gutes Ausgleichstraining, ergänzt der erfahrene Kapitän Bas Disveld: »Als Rollstuhlfahrer mache ich immer die gleiche Bewegung, um vorwärts zu kommen. Wenn ich im Schlitten sitze, erfolgt die Bewegung genau in umgekehrter Richtung: Ich drücke die Kraft nach hinten weg.« Beim Para-Eishockey ist also anstelle der Brustmuskeln der Latissimus gefragt. »Dadurch bleibt der Rücken sogar nach dem Training noch einige Zeit gerade«, weiß Disveld: »Das ist sehr angenehm. Und die Lunge kann sich besser mit Luft füllen.«

Der neue Verein

Du hast Interesse an Para-Eishockey und kommst aus der Gegend um Karlsruhe? Dann kannst du kostenlos die Sportart probieren. Ausrüstung wird für Probestunden gestellt. Melde dich einfach unter: parahockey.waldbronn@ gmail.com. Oder auf Instagram unter: paraeishockey_waldbronn

Kontakt

Stefan Steurer

Deutscher Rollstuhl-Sportverband e. V.
Fachbereichsleiter Para-Eishockey

Mobil 0151 201 186 43
Email: para-eishockey@rollstuhlsport.de

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Weitere Artikel in der Rubrik

Datenschutz-Einstellungen (Cookies)

Wir setzen Cookies auf den Internetseiten des ma:mo ein. Einige davon sind für den Betrieb der Website notwendig. Andere helfen uns, Ihnen ein verbessertes Informationsangebot zu bieten. Da uns Datenschutz sehr wichtig ist, entscheiden Sie bitte selbst über den Umfang des Einsatzes bei Ihrem Besuch. Stimmen Sie entweder dem Einsatz aller von uns eingesetzten Cookies zu oder wählen Ihre individuelle Einstellung. Vielen Dank und viel Spaß beim Besuch unserer Website!